Stilles Gedenken

26. Dezember 2011, 2. Weihnachtsfeiertag, der zweite nach dem Loveparadeunglück.
Anita, Jason und ich haben uns verabredet zur provisorischen Gedenkstätte zu fahren.
Es war uns dieses Jahr ein persönliches Anliegen dort in Ruhe und aller Stille zu gedenken.
Wir treffen uns an der Straßenbahnhaltestelle Karl-Lehr-Straße und schlendern langsam Richtung Gedenkstätte.
Anfangs unterhalten wir uns noch recht intensiv.
Doch mit jedem Schritt näher werden wir ruhiger, nachdenklicher.
Heute scheint es schwerer zu sein als sonst, den Weg dorthin zu gehen. Wir wechseln die Straßenseite, die Geräuschkulisse der vorbeifahrenden Autos klingt einem heute irgendwie unangenehmer in den Ohren.
Aber es ist merklich weniger als an den normalen Wochentagen.
An der Rampe angekommen, liegt sie fast einsam und verlassend wirkend vor uns.
Die provisorische Gedenkstätte.
Kein Mensch ist vor Ort.
Eine angenehme Ruhe liegt über der Gedenkstätte, nur leichter Nieselregen, der uns aber nicht wirklich auffällt.
Die vorbei fahrenden Autos nehmen wir kaum mehr wahr.
Der Ort scheint heute anders zu sein.
Irgendwie liegt eine merkwürdige Atmosphäre in der Luft.
Erklären oder fassen kann man sie nicht.
Vielleicht kommt es uns aber auch einfach nur so vor.
Die Treppe ist mit, an der Jahreszeit angepasst, Tannenzweigen geschmückt.
Einige Weihnachtsgestecke stehen in ihren Pappbehältern auf der Fläche.
Sie sind durch den tagelangen Regen leider sehr aufgeweicht.
Wachsrosen hängen am Zaun, durch den Regen aufgeweichte Zettel und die Zettel Spaniens.
Davor liegen ebenfalls Tannenzweige.
Sie wirken dort irgendwie deplatziert.
Ein wenig erstaunt schauen wir auf einen Kranz, der dort aufgestellt wurde.
„Gegen das Vergessen, das Team der Loveparade“, ist auf den Schleifen zu lesen.
Immerhin, eine Geste aus dieser Richtung.
Eine solche hätte auch der Stadt Duisburg gut zu Gesicht gestanden.
Aber nichts davon ist zu sehen an diesem Tag.
Zwischendurch hört der Nieselregen auf und wir entschließen uns zum Mahnmal zu gehen.
Der Weg führt uns durch den langen Tunnel Richtung Neudorf, vorbei an den Schattenfiguren.
Mit vier Leuten haben wir das Ganze damals im Mai geschafft.
Ein wenig müssen wir schmunzeln, als wir an diesen Tag zurück denken.
Wir sahen abends aus, wie gerade frisch aus dem Kohlenschacht gekommen.
Wir steigen die Treppe hinauf zum Mahnmal, das vollkommen verlassen vor uns liegt.
3 Blumengedecke und 2 Kerzen stehen dort, die bei diesem Wetter einen noch traurigeren Eindruck machen.
In der angrenzenden Hecke liegt ein Herz aus Stein.
Warum dort?
Wir schauen gedankenversunken auf die Namenstafel.
Trauer.
Kein Mensch stört uns, niemand verirrt sich dorthin.
Auch hier ist es still um uns herum.
Nach kurzer Zeit kehren wir wieder zurück an die provisorische Gedenkstätte.
Es nieselt wieder.
Zweimal halten Autos an der Rampe.
Während die Jungs blieben im Trockenen blieben, steigen aus einem ein paar junge Mädchen aus, um zur Gedenkstätte zu gehen.
Sie bleiben vor dem Zaun stehen, schauen mit traurigem Blick auf die Gedenkstätte, wechselten ein paar Worte miteinander und verschwanden wieder.
Bei dem anderen konnte man anhand der Gestik von Armen und Händen erkennen, dass man nur einmal den Unglücksort betrachten wollte. „Schaut mal, hier ist es geschehen und da sind sie gestorben.“
Die typischen Katastrophentouristen eben. Man muss mit ihnen leben.
Gegenüber der provisorischen Gedenkstätte haben mittlerweile viele Menschen ihre Gedanken auf Steinen und Platten hinterlassen.
„Sauerland, du Mörder“ steht auf einem.
Wir entsorgen ihn, so etwas gehört dort nicht hin.
Ansonsten konnten wir dort – ungestört – in unseren Gedanken verweilen.
Diese kreisten um die tragischen Ereignisse vom 24.Juli 2010, die einer von uns direkt vor Ort miterleben musste.
Aber auch um das, was seit diesem tragischen Tag passiert ist.
Jeder für sich selbst.
Nach über einer Stunde kehren wir der provisorischen Gedenkstätte den Rücken.
Schweigend und nachdenklich.

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