Anlässlich des Weltkindertages an einem Sonntag im September 2010 im Duisburger Innenhafen waren etliche Attraktionen aufgebaut.
Darunter ein mittelalterliches Dorf, eine Formel Eins-Rutsche und, ganz wichtig, eine Show Bühne.
An diesem Sonntag sollte dann eben auf dieser Bühne der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland zur Eröffnung des Weltkindertages eine Rede halten.
Es waren nicht einmal 2 Monate vergangen, als auf der Loveparade in Duisburg 21 Menschen ihr Leben verloren hatten.
Kinder, ihr Leben verloren hatten.
Und nun sollte ausgerechnet der Mann den Weltkindertag eröffnen, der bis zu diesem Zeitpunkt den Eltern der verstorbenen Kinder nicht einmal kondoliert hatte?
Eine Vorstellung, die einigen Duisburgern schon im Vorfeld die Zornesröte ins Gesicht trieb.
Im Kommentarbereich von „Der Westen“ hatte es seit der LP schon heftige Diskussionen gegeben und als der Termin anstand, verabredeten sich einige dieser Schreiber für diesen Tag.
Spontan und ungeplant.
Man hatte sich vorher noch nie gesehen, kannte sich nur aus dem oben zitierten Kommentarbereich.
Als Sammelpunkt bot sich Frank an, der ob seiner Größe als Leuchtturm fungieren wollte.
Diesen Spitznamen hat er übrigens bis heute und er macht ihm auch alle Ehre.
So trafen wir uns also in Höhe der Showbühne mit Sammelpunkt, Leuchtturm.
Eine kleine Schar von, wie man heute sagen würde, Wutbürgern mit Plakaten, T-Shirts, Trillerpfeifen und dem festen Willen, die Rede des OB21 zu sabotieren.
Ein wenig aufgeregt waren wir alle.
Wir waren ja nun nicht die typischen Berufsdemonstranten, die sowas regelmäßig machen.
Alles stinknormale Bürger dieser unserer Stadt.
So stellten wir uns erst einmal alle persönlich vor, verrieten, wer nun hinter welchem Nickname steckte und vertrieben uns so die Wartezeit.
Natürlich war unser kleiner Trupp aus ca. einem Dutzend Leuten mittlerweile aufgefallen und die ersten Reaktionen der Festbesucher ereilten uns auch schon.
Von Kopfschütteln bis zur Zustimmung war eigentlich alles vorhanden.
Die Zustimmungen überwogen aber deutlich.
Als wir da so standen und warteten, dass dieser OB21 auftauchte, kam jemand vom Rathaus, ich erinnere mich nicht mehr wer genau, auf uns zu kam und teilte mit, dass dieser wohl nicht kommen würde.
Sterbefall in der Familie hieß es.
– Hm, o.kay, herzliches Beileid.
Doch keine 10Min später erschien ein weiterer städtischer Mitarbeiter und erklärte ebenfalls, dass der OB21 heute nicht auftreten würde.
– Unfall mit dem Roller, Schlüsselbeinbruch.
– Aha…
Wir waren verwirrt.
Klar war nun nur, dass er hier nicht mehr erscheinen würde.
Also wurde beraten, was wir mit dem angefangen Sonntag noch machen können.
Schließlich wollten wir irgendwie ja unseren Unmut über diesen Herrn noch loswerden.
Unverrichteter Dinge wollten wir nicht abziehen.
Da fiel Doris ein, dass am Diebels im Innenhafen, ein Frühschoppen der CDU stattfinden soll.
An diesem sollte auch Röttgen teilnehmen und eine Rede halten.
Es ging zu der Zeit um den Parteivorsitz der CDU in NRW und er war praktisch auf Wahlkampftour. Also nichts wie hin und dem, vielleicht zukünftigen Chef der NRW CDU, mal kurz mitteilen, dass man diesen CDU OB hier nicht mehr haben wolle.
Wir zogen los zum Diebels.
Am Seiteneingang, wo jeder, der dort hin wollte, fast zwangsläufig vorbei musste, postierten wir uns.
Auch Presse war anwesend und es kam für den einen oder anderen von uns zu ersten Interviews.
Zu diesem Zeitpunkt waren wir alle vollkommene Amateure, was so etwas anbetraf.
Aber wir waren redselig.
Der Spiegel schrieb ein paar Zeilen dazu.
Zwischendurch kam natürlich auch die Polizei dorthin und fragte, ob es denn eine angemeldete Demo war.
Dies mussten wir natürlich verneinen, da wir das ganze ja spontan ausgemacht hatten.
Die Beamten waren aber sehr hilfsbereit und nahmen das ganze als Spontandemo auf.
Dagmar gab dafür ihren Namen her und alles schien eitel Sonnenschein zu sein.
Keiner von ahnte, welchen ärger das ganze noch für Dagmar nach sich ziehen würde.
Aber dazu in einem anderen Beitrag mehr.
Als wir so da standen, schritt auch die eine oder andere „Politprominenz“ von Duisburg an uns vorbei, die entsprechend Empfangen wurden.
Kurios der Auftritt vom Wahlnomadenführer Mahlberg in Begleitung seine Frau.
Elegant und schwungvoll, mit erhobener Nase, wollte er an uns kleiner Schar von Protestlern vorbei marschieren.
Den, nach seiner Meinung, wohl bösen Demonstranten noch schnell ein: “Aufklärung statt Vorverurteilung“ zugerufen und hinein ins Diebels.
Schade nur, dass seine Frau ausgerechnet auf unserer Höhe mit ihren Stöckelschuhen im Kopfsteinpflaster hängen blieb.
Während Mahlberg versuchte seiner Frau aus dieser Misere zu helfen, nutzten wir die Gunst der Stunde, um uns ein wenig Luft zu verschaffen.
Mahlberg sah man dann auch an, dass er von Minute zu Minute unruhiger wurde und Argumente waren eh mangelhaft bei Ihm vorhanden.
Als dieses Schauspiel vorbei war und weitere Prominenz ebenfalls im Diebels eingetroffen war, wurde schon fast an Aufbruch gedacht.
Aber dann.
Dann passierte doch noch das Unerwartete.
Damit hatte keiner mehr von uns gerechnet.
Ein silberner Mercedes fuhr vor.
Duisburger Kennzeichen.
Wer saß auf der Beifahrerseite???
Adolf, der II von Gottes Gnaden.
Beide Seiten schauten sich erstaunt und verwundert an.
Keine der beiden Parteien hatte wohl ernsthaft noch damit gerechnet sich ausgerechnet hier und jetzt noch zu begegnen.
Während bei uns eine gewisse Freude aufkam doch noch dem OB21 die Meinung geigen zu können, schien diese sich bei ihm nicht wirklich einstellen zu wollen.
Stattdessen begann im Auto bei Adolf eine rege Tätigkeit.
Schnell griff er zu einem vor ihm auf den Armaturen liegenden MSV Schal, bastelte sich eine Schlaufe legte diese um den Hals und darin dann seinen Arm.
Ach ja, er war ja verletzt, wie man uns am Weltkindertag mitteilte.
Schlüsselbeinruch, wir erinnern uns.
Dafür war er beim Schlaufen basteln allerdings sehr agil.
Schwerfällig stieg er aus dem Wagen und marschierte, Medienwirksam seinen Arm in der Schlaufe hängen lassend, auf uns zu.
Sofort wurde er von uns entsprechend begrüßt.
Trillerpfeifen, Buhrufe das volle Programm.
Petra und ich waren wütend darüber, dass er einen MSV Schal für seinen Arm benutzte.
Was wir ihm auch deutlich machten.
Danach war Petra meine Lieblingsrandaleoma.
„Er ist ja so verletzt“, meinte er nur, „ich hatte einen Unfall“ und er hätte ja so Schmerzen.
Er hatte wohl die Hoffnung mit seinem Dackelblick und der Mitleidstour bei uns etwas erreichen zu können.
Dies war, wie so vieles später auch, eine Fehleinschätzung, ganz im Gegenteil.
Schnell verschwand er ins Diebels um an dem Frühschoppen der CDU teil nehmen zu können.
Für den Weltkindertag war die Verletzung allerdings wohl zu schlimm um dabei zu sein.
Nach kurzer Absprache löste sich dann die Gruppe der Demonstranten wieder auf.
Allerdings blieben 4 von uns noch dort und tranken im unteren Teil des Diebels noch den einen oder anderen Kaffee während oben Röttgen seine Rede hielt.
Da im Diebels zu diesem Zeitpunkt das absolute Rauchverbot galt mussten wir Nikotinsüchtige also zwischendurch an die frische Luft.
Hendrix und meine Wenigkeit verließen also zu diesem Zweck die Kneipe und postierten uns an einer Ecke zum Seiteneingang.
Wie wir da so unsere Zigarette genossen, schauten wir auch hin und wieder um die Ecke, was sich so am Eingang tat.
Und siehe da.
Beim zweiten oder dritten Blick um die Ecke erblickte man ganz erstaunt unseren Adolf.
Wir schauten nicht schlecht als wir sahen wie entspannt mit dem Rücken zu uns dort stand und mit Leuten redete.
Was uns aber wirklich in Erstaunen versetzte war das was er in seiner Hand hielt.
Wohlgemerkt in der Hand die das Ende des Armes war, wo das Schlüsselbein gebrochen sein sollte.
Locker und völlig entspannt hielt er den MSV Schal, schwang seinen Arm dabei völlig uneingeschränkt vor und zurück.
Für einen, ach so Schwerverletzten, schon sehr merkwürdig.
Wir schauten uns das Schauspiel erstaunt, verwundert, ungläubig an.
Die Polizisten neben uns, die den Auftritt mit dem Schal auch mitbekommen hatten, schüttelten nur lachend den Kopf.
Als Sauerland sich umdrehte und sich zu seinem Dienstwagen begeben wollte erblickte er auch uns.
Mit großen Augen, das Gesicht rot anlaufend schoss er dann an uns beiden vorbei.
Verschwand in seinem Dienstwagen und brauste davon.
Wir schauten hinterher und waren sprachlos.
Die Moral von der Geschichte: Traue keinem OB dem Du nicht selbst das Schlüsselbein gebrochen hast.
Aus diesem ersten Protest einer kleinen Truppe, wurde später: DUISBURG21.
Wir folgten Adolf bis Weihnachten auf fast jeden öffentlichen Auftritt und machten mit Trillerpfeifen unseren Unmut kund. Als die Trillerpfeifennomaden wurden wir dann auch bekannt.
Ein Name, den wir mit Humor und stolz getragen haben.