„Die Dummheit hat aufgehört, sich zu schämen.“
Das statuiert Heidi Kastner. Die ist Psychiaterin, Gerichtsgutachterin und Autorin und beschäftigt sich in ihrem jüngsten Buch „Dummheit“ mit ebenderen Auswirkungen auf unsere heutige Gesellschaft. Die österreichische Expertin schreibt, „dass Dummheit eher dem Gefühlten als dem Erkennbaren nachgeht und Entscheidungen ohne ausreichende Informationen als Entscheidungsgrundlage getroffen werden.“
Das wird im fortgeschrittenem Stadium Persönlichkeitseigenschaft, wenn irgendwann allen Fakten misstraut wird und Risiken für sich und andere stumpf ignoriert werden. Leider stößt man regelmäßig und zunehmend darauf.
Kastner glaubt nicht, dass die Dummheit per se durch die Sozialen Medien zunehme. Sie ist und bleibe eine stabile Größe in der menschlichen Natur. Kastner weiß dafür, dass die Dummheit aufgehört hat, sich zu schämen, weil sie im Netz für jede noch so bescheuerte Idee Mitstreiter mobilisieren wird und die Gruppe einfach mehr Spaß, Selbstvertrauen und Dynamik spendet, als jeder Alleingang. Durch die Vielzahl der Kanäle lässt sich das inzwischen leichter wahrnehmen. Die Dummheit wird allgegenwärtig.
Und weil Intelligenz lieber selbstzweifelt, sich zurückzieht und an ihrem „scio nescio“ herumnagt, die Dummheit aber inbrünstig johlend den Dunning-Kruger-Effekt zelebriert und sich in sinnfreiem Salbadern findet und vereint und suhlt wie eine Horde Wildschweine in ihrem Gesinnungsschlamm, kommt es zunehmend zu einer öffentlichen Wahrnehmungsverschiebung.
Aus subjektiver Perspektive besteht eine große Herausforderung darin, dass die Dummheit alle Themen besetzen will, die Guten wie die Schlechten und leider auch die Wichtigen.
Es ist verdammt wichtig, über Rassismus zu sprechen, über Antisemitismus, Antiziganismus, über die Geschlechter, „genus“ und „sexus“, kulturelle Appropriation, politische Correctness und vieles mehr. Aber müssen wir für unsere pluralistische Demokratie wirklich jede vermeintliche Meinung ertragen, selbst wenn diese offenkundig nur als verkleidete Dummheit und Perfidie daherkommt und sich exklusiv per Lautstärke durchzusetzen trachtet?
„Wer schreit, hat Unrecht“, hat meine Oma Alwine immer gesagt und gemeint, dass Menschen dazu neigen, mangelndes Wissen per Dezibel zu kompensieren. Sie sagte auch: „der Klügere gibt nach.“ Als Imperativ. Das hielt und halte ich allerdings dauerhaft für keine gute Idee, denn die Folgen eines solchen Leitmotivs lassen sich in unserer Gesellschaft schon heute zunehmend spüren: die Dominanz von Blödheit, gepaart mit solidem Halbwissen bei fulminantem Auftritt.
„Nichts ist so gerecht verteilt wie der gesunde Menschenverstand. Niemand glaubt mehr davon zu brauchen, als er hat.“ René Descartes
Was also tun? Schwierig wird es vor allem bei jenen Positionen, deren Rahmen unstrittig sein muss, aber deren Interpretation und Durchsetzung der Dummheit Raum schenken und eine eingebildete Gewissheit, das Gute zu verteidigen, wie der Rottweiler seinen Napf. Und eine vermeintliche Deutungshoheit schenkt, anderen auf den allerletzten Nerv zu gehen.
An dieser Stelle greift ein Aphorismus des großen polnischen Lyrikers Stanislaw Jerzy Lec: „Analphabeten müssen diktieren“. Diktiert wird immer laut und deutlich. Auch wenn es inhaltlich eher undeutlich bleibt. Die, die am wenigsten wissen, müssen am lautesten schreien. Muss man sich das gefallen lassen? Besser nicht!
(Posting von Bruno Schulz)
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